Urban gardening - Öko-Flop oder grüner Fortschritt?

Allerorts liest man von der Rückkehr der Gärten in die Stadt, von „urban-gardening“, Grabeland, mobilen Gärten und „Guerilla-Gärtnern“. Am 1.Juni beschäftigen sich nun auch das NRW-Umweltministerium und die NUA mit diesem Thema. Sie laden zur Veranstaltung „Gemeinsam Gärtnern - die neue Gartenbewegung in NRW“ in den Wissenschaftspark Gelsenkirchen.

 

Über 100 erfolgreiche Initiativen gibt es schon in NRW, und es werden immer mehr. Die Palette der Möglichkeiten reicht von mobilen Gärten auf versiegelten Flächen, über das Gärtnern auf öffentlichen Flächen, der Begrünung von Baumscheiben bis zur Projekten einer „Essbaren Stadt“ und „Urbaner Landwirtschaft“.Das ökonomische Potenzial erscheint groß

 

Großes Potenzial

Das ökonomische Potenzial für Möhren, Salat oder Radieschen vom Dach erscheint groß – manche sprechen gar von einer neuen grünen Revolution. Deutschlands Städte bieten nach Einschätzung der Fraunhofer-Forscher 360 Millionen Quadratmeter Dachfläche, die sich für den Anbau von Obst und Gemüse eignen würden. "Ob Dächer von Supermarktketten, Industriegebäuden oder Bürokomplexen – bislang bleiben diese Flächen für den wirtschaftlichen Anbau von Nahrungsmitteln ungenutzt", bedauern die Wissenschaftler.

Dabei könnten durch Dachgärten große Mengen an umwelt- und klimaschädlichen Transporten entfallen, professionelle Anbaumethoden vorausgesetzt.

 

Fast alle Gemüsesorten, so die Forscher, gedeihten zudem in Hydrokulturen. Schwere Gartenerde, die manche Statik nicht verkraften würde, werde damit verzichtbar. Sogar auf natürliches Licht könnten künftige Infarming-Bauern durch LED-Einsatz verzichten. Schon ab 1000 Quadratmetern lasse sich eine Dachfläche wirtschaftlich betreiben.

 

In vielen Ballungsräumen der Welt leistet urbane Landwirtschaft bereits heute nennenswerte Beiträge zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, teils aus Not, teils mit Gewinnabsicht. In Moskau und St. Petersburg baut jeder zweite Städter selbst Kartoffeln oder Gemüse an

 

In Ghanas Hauptstadt Accra liefern Stadt-Farmer bis zur Hälfte der Nahrung. Auf dem Dach eines früheren Lagerhauses im New Yorker Stadtteil Brooklyn gedeihen auf 6000 Quadratmetern Salat, Tomaten, Pfeffer und Kräuter – alles in Bio-Qualität, wie die Betreiberin der Navy-Yard-Farm in ihrer Selbstdarstellung betont.

 

Gemüse mit Schwermetall und Altlasten

Bio ist nicht selbstverständlich. Denn das Gärtnern in der Stadt hat ein ökologisches Problem: die Stadt selbst. So tun urbane Nahrungsmittelproduzenten gut daran, mit ihren Beeten die Nähe stark befahrener Straßen zu vermeiden, wo ein Cocktail aus Feinstaub, Cadmium, Blei, Reifen- und Bremsenabrieb die Pflanzen umweht.

 

Eine Untersuchung in Berlin fand vor drei Jahren in 52 Prozent des Gemüses aus Stadtgärten Schwermetallgrenzwerte oberhalb der EU-Normen. Das würde jeden Supermarktbetreiber die Existenz kosten. Auf verkehrsfernen Industriebrachen wiederum könnten Altlasten drohen. Drum empfehlen Fachleute, vor dem Gärtnern Bodenproben zu nehmen.

 

Globale Trends sprechen dafür, dass urbane Nahrungsmittelproduktion dennoch künftig unentbehrlich wird. Denn die herkömmlichen Ackerflächen werden allmählich knapp. 

Blumenbeet in Gartenstadt-Garten, im Hintergrund das Gartenhäuschen.
Blumenbeet in Gartenstadt-Garten, im Hintergrund das Gartenhäuschen.

 

Urbane Produktion wird unentbehrlich

 

Viele Initiativen stoßen mit ihren Forderungen zur Bereitstellung von Flächen auf Widerstände seitens der Verwaltung. Das könnte das Engagement schwächen und letztendlich sogar zu Resignation führen. Diese Form der Gärten ist auf Spendengelder und Eigeninvestitionen angewiesen, denn es gibt wenig Fördermöglichkeiten. Auch ohne das ehrenamtliche Engagement der Unterstützer wäre eine Existenz der Gärten nicht denkbar. Die offene Struktur der Gärten birgt das Risiko, dass niemand sich richtig für das Projekt verantwortlich fühlt und somit der Großteil der Arbeit auf wenigen Schultern lastet. Des Weiteren besteht durchaus auch die Gefahr, dass viele das Gärtnern nur als Trend sehen, den sie kurzzeitig interessant finden, der aber schnell zugunsten eines neuen Trends vernachlässigt wird.  

 

Viele positiven Aspekte

Urbane Gärten, die Stadtgärten, leisten zweifellos einen Beitrag für die Erhaltung der Biodiversität in den Kommunen. Bienen beispielsweise finden durch die dicht beieinander gelegenen Balkonpflanzen, (Dach-)Gärten und Wildblumenwiesen mehr unterschiedliche Pflanzen auf engstem Raum als auf dem Land. In einigen Fällen erfolgte eine Renaturierung von ehemaligen Bau- oder Brachflächen durch die Nutzung als Gärten. Teilweise wurden Altlasten weggeräumt, um Flächen längerfristig nutzbar zu machen.

 

Sozial nachhaltig

Beispiele zeigen, dass Gärten auch auf sozialer Ebene wirksam sind. Sie überwinden Hemmschwellen sowohl zwischen Kulturen als auch zwischen Generationen durch die gemeinsame gärtnerische Tätigkeit erleichtern. Die herrschende Anonymität und zunehmende Isolation der Menschen in der Stadt kann aufgehoben werden. Das Resultat sind verbesserte Nachbarschaftskontakte und eine gelungene Integration zuvor isolierter Bevölkerungsgruppen. Und dies vor dem Hintergrund des Gärtnerns.

 

Natur lernen 

Das Interesse an den Menschen und der näheren Umgebung und stiftet Identität, sodass sich die Gärtner zunehmend mit ihrem Stadtteil identifizieren und bereit sind sich für diesen einzusetzen. Dies führt auch zu einem gesteigerten Interesse an Fragen der Stadtpolitik und Stadtentwicklung.

In den Köpfen der Menschen kann ein Umdenken angestoßen werden: Die teils mühsame Pflege der Pflanzen lehrt sie, Lebensmitteln wieder einen höheren Stellenwert beizumessen

 

Neue Konsumausrichtung 

Eine Sensibilisierung für Saisonalität und regionale Erzeugnisse geht damit oft einher und es wird wieder hinterfragt, woher die Lebensmittel eigentlich kommen. Dies kann ebenfalls Auswirkungen auf die Konsumentscheidungen der Menschen haben und somit erfreuen sich regionale Produkte zunehmender Beliebtheit. Weite Transporte lassen sich vermeiden und auch die Abhängigkeit vom Weltmarkt mit unfairen Handels- und Produktionsverhältnissen kann durch einen Beitrag zur Selbstversorgung reduziert werden.

 

Quellen: Die Welt, NABU, Projekt WirEssenGesund.de

Interessante Links: http://www.kas.de/wf/doc/14710-1442-1-30.pdf 

https://www.nabu.de/downloads/NABU-Impuls-StadtLandFlaeche/NABU-Impuls_SLF_102012.pdf